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Wofür steht EMDR?

Hinter der Abkürzung „EMDR“ verbirgt sich ausformuliert Folgendes: Eye Movement Desensitization and Reprocessing. Dies bedeutet auf Deutsch “Desensibilisierung und Verarbeitung durch Augenbewegung”. Francine Shapiro ist die Begründerin dieses Verfahrens. Inzwischen ist EMDR auch von den deutschen Krankenkassen als Verfahren zur Traumabehandlung anerkannt. 

Buchaufbau

In dem Standardwerk von Francine Shapiro wird zu Beginn eine geschichtliche Einführung zum Verfahren gegeben. Wie die meisten wissenschaftlichen Ansätze, hat auch das EMDR eine jahrzehntelange Geschichte. Dies ist insofern interessant, als dass dadurch die einzelnen therapeutischen Schritte beim Lesen gut nachvollziehbar werden. Dies ist insofern wichtig, da einige Schritte beim EMDR (z.B. das Prozessieren) sich von klassischen Ansätzen zum Teil unterscheiden.

Im nächsten Abschnitt wird die dahinterliegende Theorie des Verfahrens beschrieben. Es handelt sich hierbei um das Modell der adaptiven Informationsverarbeitung. Die Arbeitshypothese besagt, dass Menschen ein physiologisches System besitzen. Dieses System hilft dabei belastende Situationen zu verarbeiten und in einem Individuum zu integrieren. Bei (kleinen und großen) Traumatisierungen kommt dieser Prozess jedoch zum Stillstand. Das bedeutet, dass die traumatischen Erinnerungen „fragmentiert“ sind. Dies führt dann zu spürbaren Symptomen wie z.B. Flashbacks oder Alpträumen.

Der EMDR-Prozess soll durch bilaterale Stimulierung (z.B. durch Augenbewegungen) dabei helfen den Prozess der adaptiven Informationsverarbeitung wieder zu aktivieren. Die Folge ist, dass die fragmentieren Erinnerungen perspektivisch in die eigene Biografie integriert werden können. Meist wird dies mit einer deutlichen Symptomreduktion erreicht.

Im Anschluss wird das praktische Vorgehen sehr detailliert im Buch dargestellt. In den folgenden Kapiteln werden die acht Schritte des EMDR und die Wirkfaktoren benannt. Erweitert wird das Buch durch ein Kapitel zum kognitiven Einweben. Zu dem wird das Standardprotokoll des EMDR auf bestimmte Symptome und psychische Störungen skizziert. Im Anhang des Buches finden sich noch einige hilfreiche Tools für Therapeut:innen und eine Darlegung der Studienlage zum EMDR. 

Wie läuft EMDR ab?

Der standardisierte EMDR-Prozess basiert auf acht Schritt. Inzwischen gibt es mehrere Abwandlungen im Vorgehen. Es sollen jedoch in Kürze die acht „klassischen“ Schritte beschrieben werden.

Schritt 1: Im Vordergrund stehen der Aufbau und die Festigung einer therapeutischen Beziehung. Darüber hinaus werden hier erste Ressourcen und Überlebensstrategien erfasst. Ein wesentlicher Schritt ist zu dem die (Trauma-)Anamnese.

Schritt 2: Patient:innen kriegen eine Psychoedukation zum Informationsverarbeitungsmodell. Zu dem wird die Beziehung zwischen Therapeut:in und Patient:in weiter gestärkt. Patient:innen sollen in dieser Phase Entspannungs- und Distanzierungstechniken stärken bzw. erlernen (z.B. Sicherer Ort, Lichtstrahlmethode). Eine Voraussetzung für die nächsten Behandlungsschritte ist nämlich eine grundlegende Fähigkeit zur Affektregulation.

Schritt 3: Im dritten Schritt geht es um eine erste kognitive Vorbereitung und Aktivierung des zugrundeliegenden Themas. Patient:innen sollen in dieser Phase Ausgangsthema, positive und negative Kognitionen, Gefühle und Körpergefühle einschätzen.

Schritt 4: Patient:innen prozessieren in diesem Abschnitt ihr Ausgangsthema mittels bilateraler Stimulation. Dies kann auf verschiedenen ebenen geschehen, z.B. visuell, auditiv oder auch taktil. Der Ablauf wird gemeinsam genau festgelegt, damit Patient:innen maximale Kontrolle haben.

Schritt 5: Wenn die Belastung (SUD) deutlich reduziert oder nicht mehr vorhanden ist, wird das Ausgangsthema mit der positiven Kognition verankert.

Schritt 6: Es folgt ein anschließender Körpertest. Es wird geschaut, ob die Belastung sich noch körperlich abbildet. Wenn ja, wird weiter prozessiert, wenn nicht wird der Abschluss eingeleitet.  

Schritt 7: Im Abschluss wird gemeinsam die erlebte Erfahrung und die Bewertung des Prozesses thematisiert. Wenn der Prozess nicht abgeschlossen werden konnte, kommen hier die bereits erlernten Entspannungs- und Distanzierungstechniken zum Einsatz.

Schritt 8: In der folgenden Sitzung werden die Erfahrungen der letzten Sitzung nachbesprochen. Typischerweise führen Patient:innen zwischen den Sitzungen ein EMDR-Tagebuch.

Für wen eignet sich das Buch?

In erster Linie sind praktizierende Kolleg:innen gut mit diesem Werk bedient. Fairerweise sollte auch gesagt werden, dass es Sinn macht, bereits Seminare zu dem Verfahren besucht zu haben. Die Kapitel und Formulierungen setzen schon einen gewissen Kenntnisstand voraus. Die Autorin weist nach jedem Kapitel auf die Notwendigkeit einer Supervision hin. Wer EMDR für sich verstanden hat, der/die wird sich auch mit der Strukturierung der Kapitel gut zurechtfinden. Ansonsten besteht leicht die Gefahr den Überblick zu verlieren. Ich selber habe das Werk von vorne bis hinten gelesen. Primär für die Rezension, sekundär aber auch für die eigene fachliche Expertise. Es ist sicherlich auch als Nachschlagewerk denkbar, da ein über 700-Seiten-Fachbuch auch eine Hausnummer sind.

Fazit

Das Schöne an dem Buch ist, dass Francine Shapiro die Gründerin des EMDR ist und es glücklicherweise detailliert verschriftlicht hat. So hatte ich den Eindruck „direkt an der Quelle“ zu sitzen. Wie oben erwähnt, setzt das Buch praktische Erfahrung mit dem Verfahren voraus. Es ist weniger ein Buch zum „drüber blättern und sich ein paar Ideen rauszupicken“, wie es vielleicht bei anderen Büchern/Verfahren möglich wäre. EMDR als Verfahren bietet inzwischen mehrere Protokolle an, die den Fokus nicht nur auf der Traumatisierung haben. Es gibt inzwischen gut erprobte Protokolle für z.B. Depressionen oder Ängste. Da EMDR sehr umfangreich ist, steht das Buch nun in meinem Behandlungsraum als durchgelesenes Nachschlagewerk. Ich kann mir tatsächlich gut vorstellen dort regelmäßig (neben der zwingend notwenigen Supervision) reinzublättern und mein Wissen aufzufrischen.

Daten zum Buch

  • Herausgeber: Junfermann Verlag; 3. Edition (29. Januar 2022)
  • Sprache: Deutsch
  • Taschenbuch: 720 Seiten
  • ISBN-10: 3955718433
  • ISBN-13: 978-3955718435
  • Originaltitel: Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) Therapy
  • Abmessungen: 17 x 4.1 x 25.5 cm

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