Lesedauer ca. 3 Minuten

Wer sich für das psychische Innenleben eines Menschen interessiert, ist bei Fjodor M. Dostojewski genau richtig. In „Aufzeichnungen aus dem Kellerloch“ beschreibt Dostojewski in zwei Teilen die ambivalenten und gnadenlos ehrlichen Gedanken eines Mannes in seinen 40er Jahren. Ein Mann, der einen Teil seines Lebens damit verbringt sich und anderen das Leben schwer zu machen. Der Mann ist in seinem Leben stellenweise verbittert und verloren. Man bekommt fast denn Eindruck, dass er nahezu charakterlos und nihilistisch ist. Der Kontext beschreibt das russische Leben zum Ende des 19. Jahrhunderts. Der Autor zeigt auf kunstvolle Art und Weise wie sich solche Gedankengänge abspielen und mit der Umwelt interagieren, bzw. welche Folgen entstehen können.

Im ersten Teil ist das Buch eher eine Art Sammlung von Essays. Der Protagonist spricht in seinen Schriften mit einem Publikum. Dieser Teil des Buches erfordert eine gewisse Konzentration und Aufmerksamkeit. Es liest sich eher wie ein „loses Philosophieren“. Eine Passage, die mich sehr zum Nachdenken angeregt hat:

„Was kann man von dem Menschen, also von einem mit so sonderbaren Eigenschaften begabten Wesen, erwarten? Überschütten Sie ihn mit allen irdischen Gütern, versenken Sie ihn in Glück bis über den Kopf, sodass, wie im Wasser, nur Blasen an die Oberfläche des Glückes hinaufsteigen; stellen Sie ihn in materieller Hinsicht so günstig, dass er weiter nichts mehr zu tun hat, als zu schlafen, Pfefferkuchen zu essen und dafür zu sorgen, dass die Weltgeschichte nicht vor der Zeit aufhört – so wird er, der Mensch, Ihnen auch dann, auch dann lediglich aus Undankbarkeit, lediglich aus Bosheit irgendeine Gemeinheit begehen. Er wird sogar die Pfefferkuchen aufs Spiel setzen und sich absichtlich den verderblichsten Unsinn, den materiell nachteiligsten Blödsinn wünschen, einzig und allein um dieser ganzen positiven Vernünftigkeit sein eigenes verderbliches fantastisches Element beizumischen“.

Im zweiten Teil erfahren wir etwas zu den Hintergründen des Mannes. So gesehen einen Teil seiner biografischen Vorgeschichte. Im Endeffekt die Zeit, bevor er sich ins Kellerloch zurückgezogen hat. Der zweite Teil hat schon mehr den Charakter einer zusammenhängen Geschichte. Man kann als Leser:in hier erahnen wie es zu der Verbitterung im Leben des Mannes kam. Dieser Teil liest sich auch deutlich flüssiger.

Es ist zusätzlich ist anzunehmen, dass Dostojewski mit diesem Buch das damalige System kritisieren wollte. Es wurde damals nämlich angenommen, dass der Mensch ein zufriedener Mensch ist, wenn er doch nur genügend Versorgung erfährt. Eine ziemlich rationale und utopische Ansicht über das menschliche Dasein. Er hat schon damals gewusst, dass man die menschliche Geschichte nicht alleine mit rationalen Argumenten erklären kann. Sondern dass das Leben ein Ort voller Ungleichheit, Grenzen, Schmerzen und Gefühlen ist, und materielle Dinge allein dies nicht wieder in Ordnung bringen. Für unser heutiges Verständnis ist es nachvollziehbar. Es ist eine geistige Meisterleistung, dass Dostojewski dies schon zur damaligen Zeit geahnt haben muss. Dostojewski war seines Zeichens Existenzialist. Er wusste, dass es auch psychologische Grundbedürfnisse gibt, die teilweise weitaus wichtiger sind als das reine Material. Der Mensch ist also mehr als eine Blackbox, die von außen verstärkt werden kann. Ein Beispiel stellt eben der Protagonist im Buch dar. Die Verbitterung und die Absicht seinen Mitmenschen zu schaden, könnte ein Hinweis auf ein unbefriedigtes Bedürfnissystem sein. Oder die Verbitterung ist auch ein Zeichen seines freien Willens, dass ihn ebenso menschlich macht, anstatt kalt und rational wie ein Roboter.

Wer Interesse an dem inneren Seelenleben eines Menschen hat – und sich nicht scheut in komplexe Gedankengänge einzutauchen – dem/der kann ich das Buch nur wärmstens empfehlen. Es ist verhältnisweise kurz und eignet sich wunderbar an einigen Abenden gelesen zu werden.

Daten und Weiterleitungen zum Buch

  • Titel: Aufzeichnungen aus dem Kellerloch
  • Autor: Fjodor M. Dostojewski
  • Herausgeber ‏: ‎ Anaconda Verlag (31. Juli 2008)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 192 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3866473079
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3866473072
  • Originaltitel ‏ : ‎ Sapiski is podpolja

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