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Der Wunsch sich zu verstehen

Zu Beginn des Beitrags ist wichtig anzumerken, dass es sich bei der Theorie um eine mögliche Sichtweise von vielen anderen handelt. Theorien haben häufig die Absicht uns Menschen zu helfen und uns selbst besser zu verstehen. Wir wollen uns stimmig fühlen, uns sinnvoll und ohne Widersprüche erleben. Es ist ein natürlicher Drang des Menschen die eigene Existenz zu verstehen. Daraus haben sich Disziplinen wie z.B. Politik, Philosophie, Medizin, Biologie und Psychologie entwickelt. Um nur einige wenige zu nennen.

Klaus Grawe war ein Psychologischer Psychotherapeut und Psychotherapieforscher. Er hat zu seinen Lebzeiten die neuronalen Mechanismen von psychischen Störungen wissenschaftlich untersucht. Darüber hinaus untersuchte er die psychotherapeutischen Wirkmechanismen. Oder ganz simpel: Was hilft in einer Therapiestunde und darüber hinaus?

Um sich jedoch diesen Fragen zu nähern, muss man sich mit dem Menschen an sich beschäftigen. Das bedeutet sich Fragen zu stellen wie “Was motiviert Menschen?”, “Wie bewertet der Mensch etwas als gut oder schlecht?”, “Was strebt der Mensch an?”, “Welche Bedürfnisse hat er?”, Was macht ihm Angst und was macht ihn glücklich?”.

Das bedeutet zu wissen, worauf der menschliche Geist seinen Fokus zu Lebzeiten richtet. Doch viel mehr noch als das. Es geht darum zu begreifen welche Bedingungen nötig sind, damit sich der Mensch erhalten und entwickeln kann. Aus solcher Art von Fragen ist die Konsistenztheorie entstanden, die ich dir im Folgenden darstellen möchte.

Konsistenz - sich stimmig erleben

Die Konsistenztheorie nimmt grundlegend an, dass der Mensch ohne innere Widersprüche leben möchte. Mit dieser Theorie soll also die Funktionsweise eines Menschen beschrieben werden. Es wird angenommen, dass ein Mensch sich gesünder und konsistenter erlebt, wenn die Passung zwischen Grundbedürfnissen und dem Erleben in der Realität übereinstimmt. Fachlich: Wenn psychische Prozesse mit den neuronalen Prozessen übereinstimmen. Dies spielt sich vor allem auf der “Systemebene” ab. In der Theorie besteht demnach aber auch die Möglichkeit sich inkonsistent zu erleben. Dies wäre dann – laut dem Autor – ein Risikofaktor für psychische Störungen.

Grawe teilt sein Modell – darüber hinaus – in mehrere Ebenen ein. Grawe hat das Modell von Epstein abgeleitet und um die Sichtweise ergänzt, dass “Konsistenz” kein Bedürfnis ist. Es ist viel mehr ein allgemeingültiges Prinzip. Die Befriedigung der Grundbedürfnisse führt erst zu einer Konsistenz. In der menschlichen Evolution hat sich gezeigt, dass der Mensch Konsistenz bevorzugt, während er Inkonsistenz versucht zu vermeiden. Dies ist der übergeordnete Punkt. Von hier aus können wir nun mit den Grundbedürfnissen beginnen.

Grundbedürfnisse

Klaus Grawe postuliert, wie auch weitere Autor:innen, dass Menschen angeborene, biologische Grundbedürfnisse in sich haben. Die Idee dieser Annahme stammt wahrscheinlich daher, dass solche Bedürfnisse dem Menschen beim Leben auf der Erde dienlich sind. Sie geben Antrieb, Motivation und können handlungsvorbereitend sein. Sie helfen dabei Ziele zu erreichen. Viele Forscher:innen haben es bereits postuliert. Jedoch sind es häufig Annahmen gewesen. Weniger empirische Belege. 

Unter Einbeziehung der Biografie eines Menschen, wird angenommen dass die Befriedigung der Grundbedürfnisse auf verschiedenen Wegen passieren kann. Das bedeutet dass jeder Mensch aufgrund seines Temperaments, seiner Sozialisation, Persönlichkeit und seiner Fertigkeiten individuelle Wege findet.

Insgesamt werden vier Grundbedürfnisse formuliert. Im Folgenden werden Bindung, Kontrolle/Orientierung, Selbstwerterhöhung- und erhaltung, Lustgewinn/Unlustvermeidung formuliert. 

Bindung

Für die meisten Menschen ist das Bedürfnis nach Bindung eine feste Größe. Dies war vor einigen Jahren noch nicht so. Heute ist es beim weiten das bestuntersuchteste Grundbedürfnis in der modernen Wissenschaft. Vor allem auch mit neurobiologischen Korrelat. Das bedeutet, dass das Bindungsbedürfnis sich auch in neuronalen Pfaden abbilden lässt. Rein evolutionär macht es total Sinn ein Grundbedürfnis nach Bindung zu haben. Gerade Säuglingen und Kleinkindern sichert es das Überleben. Denn wenn ein Kind weint, aktiviert es auch gleichzeitig das “Bindungssystem” der primären Bezugsperson, die dem Säugling wiederum Schutz bietet.

J. Bowlby war einer der ersten, der das Bedürfnis nach Bindung in die Wissenschaft faktisch brachte. Er postulierte, dass Individuen, die eine Bezugsperson zur Verfügung haben, weniger Furcht empfinden. Er beschreibt zu dem auch, dass frühe Erfahrungen zu bestimmten Grundannahmen und Mustern führen, die über Lebenszeit stabil bleiben. Simpel ausgedrückt bedeutet dies, dass Erfahrungen in Kindheit und Jugend sehr prägend sind und Menschen diese Erfahrungen in aktuelle Beziehungen mitnehmen. Was unter anderem daran liegt, dass diese Erfahrungen sich als “Schemata”, als mentale Repräsentationen, in impliziten Gedächtnis ablegen. Ein Schemata ist dabei ein Begriff , der ursprünglich aus der Mathematik stammt. In einem Schemata werden Eindrücke, Wahrnehmungen, Erinnerungen, Körpersensationen, Gedanken, Gefühle und (innere) Bilder containert. Wenn ein Kind die Erfahrung macht, dass die Bezugspersonen ein Ort der Sicherheit und des Schutzes sind, auf das Kind eingehen und empathisch reagieren, werden eher Schemata gebildet, die sich Bindungssituationen annähern. Bei eher abweisenden und bedrohlichen Erfahrungen entwickelt ein Kind über seine Lebenszeit wahrscheinlich eher das motivationale Schemata Bindungssituationen zu vermeiden, um nicht psychisch verletzt zu werden.

Mary Ainsworth hat im letzten Jahrhundert ein standardisiertes Verfahren, um Bindungsverhalten bei Kindern zu untersuchen. Dank dieser Untersuchungen gehen wir von verschiedenen Bindungsstilen aus: (1) Sicher gebunden, (2) Unsicher gebunden – vermeidend, (3) Unsicher gebunden – ambivalent, (4) Unsicher gebunden – desorganisiert. Die Äußerung der einzelnen Bindungsstile würde zu weit führen und wird an dieser Stelle nicht weiter fortgeführt.

In mehreren Untersuchungen konnte mehrfach repliziert werden, dass frühe Beziehungserfahrungen einen Einfluss auf spätere Beziehungserfahrungen im Leben eines Menschen nehmen. Einige Autor:innen gehen sogar soweit, dass sie sagen, dass der Bindungsstil über Lebzeiten stabil bleibt.  Ein unsicherer Bindungsstil ist laut Befundlage der bestbelegteste Prädiktor (Vorhersager) für eine spätere psychische Störung

Kontrolle/Orientierung

Auch die anfänglichen Überlegungen zu diesem Grundbedürfnis stammen von Epstein. Es wird angenommen, dass der Mensch ein Modell der Realität in sich repräsentiert hat. Das Modell formt sich von jungen Jahren bis hin ins Erwachsenenalter. Der Mensch ist somit in einem ständigen Austausch mit seiner Umwelt.

Der Mensch überprüft über seine Wahrnehmungen, ob er seine Ziele in der Realität erreicht. Hier kommt der Kontrollaspekt ins Spiel. Je nach dem ob ein Ziel im Außen erreicht wurde, folgt als Konsequenz eine positive oder negative Kontrollerfahrung. Die Kontrollerfahrung ist also mit der zielgerichteten Aktivität untrennbar verbunden. Kontrolle ist auch ein unabdingbarer Aspekt, wenn man weitere Grundbedürfnisse erfüllt haben möchte. Sie ist also zum Überleben wichtig. Je nachdem welche Erfahrungen ein Mensch im Leben macht, wird er mehr oder weniger denken dass Dinge und Situationen vorhersehbar und kontrollierbar sind. Dies nennt man auch Kontrollüberzeugung (nach Rotters), oder auch Selbstwirksamkeit (nach Bandura).

Auch hier kann angenommen werden, dass dies ein tief-biologisch verankertes Grundbedürfnis ist. Es ist wahrscheinlich auf die Selbsterhaltung zurückzuführen. Wir wollen nicht nur Kontrolle, sondern auch ein breites Repertoire an Handlungsmöglichkeiten haben. Also: Das Kontrollgrundbedürfnis muss nicht unbedingt mit tatsächlicher Kontrolle (im Sinne des Verhaltens) zutun haben. Bezogen auf psychische Gesundheit ist es so, dass ein Erleben von Nicht-Erfüllen von Zielen mit aversiven Emotionen und einem geringeren Kontrollerleben einhergeht. Dies bedeutet, dass es hier zu einer Grundbedürfnisfrustration kommt.

Bei psychischen Störungen wird von Patient:innen häufig berichtet, dass sie ihr Leben als “unkontrollierbar” erleben. In der Behandlung von Patient:innen wäre es also wichtig durch konkrete Fertigkeitstrainings ein Kontrollerleben zu erzeugen. Aber auch “den Überblick” zu gewinnen, kann dazu führen dass man das Bedürfnis der Orientierung von Patient:innen befriedigt. Das kann zum Beispiel über Störungsmodelle oder “Fahrpläne” innerhalb der Therapie erreicht werden. Das Kontrollbedürfnis hängt im übrigen auch eng mit dem Bindungsbedürfnis zusammen. Stell dir vor, dass ein Kind weint und ein Elternteil geht hin um es zu trösten. Das Kind macht die Erfahrung, dass sein Verhalten (z.B Weinen) beim Anderen etwas bewirkt. In der frühkindlichen Beziehung macht das Kind also die Erfahrung selbstwirksam zu sein. 

Selbstwerterhöhung- und erhaltung

Viele Autor:innen haben sich bereits mit dem Menschen und seinem Selbstwert beschäftigt. Einer der bekanntesten Autor:innen ist Alfred Adler. Dieser hat postuliert, dass die wichtigste Motivationsquelle des Menschen die Überwindung des Minderwertigkeitsgefühls ist.

Wir Menschen sind in der Lage ein Selbstbild von uns zu haben, da wir ein Bewusstsein für unser Selbst haben. Unser Selbstbild entwickelt sich in Interaktion mit anderen. Vorzugweise über die Sprache. Das Selbstbild ist höchst abhängig von subjektiven Bewertungen. Kinder haben noch kein ausgereiftes Selbstbild. Jedoch können negative Erfahrungen in den anderen Grundbedürfnissen bewertet werden und später in die Bewertung des eigenen Selbst einbezogen werden.

Doch wieso haben so viele Menschen ein gemindertes Selbstwertgefühl? Wenn wir Kinder sind, attribuieren wir viele Schwierigkeiten in der Interaktion zu unseren Primärbezugspersonen auf uns selbst. Also anstatt zu sagen “Mama ist schlecht”, sagen Kinder häufig “dann habe ich es wohl nicht verdient”. Das ermöglicht ein gewisses Maß an Kontrolle. Denn wenn man selber schlecht ist, dann hat man immer noch die Möglichkeit dies selber zu verändern. Meistens entwickelt sich hier schon früh Vermeidungsziele, die wiederum die Chance nehmen eine korrigierende Erfahrung zu machen.

Selbstwerterhöhung- und Erhaltung sind also eher indirekte Ziele und sollten immer im Zusammenhang zu anderen Bedürfnissen betrachtet werden. Meist bilden sich im Gegenzug keine Annäherungsziele aus. Das liegt mitunter daran, dass der Mensch keine gute Repräsentation von Erfahrungen hat, wie es geht und sich anfühlt in der Interaktion als wertvoll erachtet zu werden. Fehlt diese Repräsentation, fehlen auch konkrete Ziele zur Realisierung der Grundbedürfnisbefriedigung.

So kann man unter’m Strich sagen, dass ein schlechtes Selbstwertgefühl meistens Resultat von anhaltenden Vermeidungszielen sein. Selbstwerterhöhung hängt mit Annäherungszielen zusammen. Während Selbstwerterhalt eher zu den Vermeidungszielen gezählt wird. Dabei erfolgen die Erhöhung und die Erhaltung offen wie auch verdeckt. Beispielsweise zeigen Untersuchungen, dass die meisten Menschen vergangene Leistungen positiv überschätzen. Dies hat einen stabilisierenden und puffernden Charakter.

Depressive Personen gleichen z.B. eher zwischen positiven und negativen Eigenschaften aus, wenn sie zu vergangene Leistungen gefragt werden. Sie haben wahrscheinlich eine “realistischere” Sichtweise, während gesunde Personen sich etwas “in die Tasche lügen”. Dinge, die wir über uns denken, werden dann früher oder später zu selbsterfüllenden Prophezeiungen. Dies geht dann in beide Richtungen. Depressive Personen neigen beispielsweise dazu wenig Lust zu empfinden und sich nicht mehr um eine Selbstwerterhöhung zu kümmern. Gerade weil sie auch mehr negative Aspekte ihrer Person einbeziehen. 

Lustgewinn/Unlustvermeidung

Wenn ein Kind sich beim Spielen stößt und Trost und Schutz bei den Eltern sucht, aktiviert sich sein Bindungssystem. Sind die Eltern nicht in der Nähe, aktiviert sich dazu noch das Kontroll- und Orientierungsbedürfnis. Das Kind wird wahrscheinlich negative Emotionen an sich erleben. Wenn die Eltern dann erscheinen, lässt sich das Kind meist trösten.

Doch warum ist das so mit den negativen Emotionen? Der Mensch neigt dazu Erfahrungen in Dimensionen bzw. mit Attributen einzuteilen, z.B. “gut – schlecht”, “Liebe – Hass”. Und so ist es auch, dass ein Mensch nach diesen Bewertungen einen Zustand oder eine Situation als lustvoll oder eben mit Unlust erlebt. Dabei unterliegen die Bewertungen komplexen kognitiven Prozessen, die wiederum eine neuronale Grundlage haben. Dies zeigen zumindest Studien zur Stimulusdiskrimination. Die Bewertung hängt vom Kontext und von den Vorerfahrungen ab. Beispielsweise kann ein kalter Luftzug im Sommer als angenehm bewertet werden. Während der selbe Luftzug im Winter eher aversiv erlebt wird. Anzumerken ist auch, dass diese Prozesse nicht bewusst ablaufen. 

Kinder mögen kein Bier oder keinen Kaffee. Und das ist auch gut so. Als erwachsene Menschen konsumieren wir diese Genussmittel. Es erfolgt über die Jahre ein “Umlernen”. Wahrscheinlich spielen nicht nur lustvolle Aspekte dabei eine Rolle, sondern auch soziale Motive wie z.B. Zugehörigkeit und Verbundenheit.  

Im Alltag erleben wir die Einstufung von Lust oder Unlust in Form von Skalen. Beispielsweise werden bei einem Wein-Tasting die Teilnehmer:innen gefragt wie sehr der Wein mundet (z.B. über Punkte in der Parker-Skala). Im Allgemeinen kann man sagen, dass eine lustvollere Bewertung Annäherungsziele aktiviert. Beispielsweise, dass ein Wein anschließend gekauft wird. Dies ist natürlich auch auf interpersonelle Aspekte zu übertragen. Werden wir gelobt oder werden wir uns mit anderen einig, steigt in der Regel die Bereitschaft mit einer anderen Person weiter Zeit zu verbringen. 

Aber auch geistige Ereignisse können einen Lustgewinn mit sich bringen. Beispielsweise werden melodische Töne eher mit Genuss verknüpft. Wohingegen der Genuss an einem Freestyle-Jazz-Stück erst gelernt werden muss. Aber auch die Auseinandersetzung mit Themen, Lösen von Aufgaben, wissenschaftliches Arbeit etc. können als Genuss erlebt werden. 

Das heißt, dass dieses Bedürfnis einhergeht mit den anderen Bedürfnissen. Wenn das eingangs geschilderte Kind von seiner Mutter getröstet wird und der emotionale und körperliche Schmerz nachlässt, kann die Situation also z.B. wieder als “lustvoll” bzw. angenehm bewertet werden.

Motivationale Schemata

Motivationale Schemata sind erfahrungsbasierte Repräsentationen. Das heißt, sie entstehen durch die erlebten Erfahrungen eines Menschen. Dabei haben sie eine neuronale Grundlage. Es wird zwischen Annäherungs- und Vermeidungschemata unterschieden. Wobei beide sich gegenseitig hemmen, aber auch getrennt voneinander aktiviert werden können. Die neuronale Repräsentation unterscheidet sich auch, je nach Schemata. Der Dorsolaterale Präfrontale Kortex ist maßgeblich an positiven Emotionen (Lustgewinn) und negativen Emotionen (Unlust) beteiligt. Wobei eine linksseitige Aktivierung mit positiven Emotionen assoziiert ist, und die rechtsseitige Aktivierung mit negativen Emotionen.  Aus den gemachten Erfahrungen werden dann Annäherungs- oder Vermeidungsziele gebildet. 

Das bedeutet, dass bei Annäherungszielen der Mensch die Grundbedürfnisbefriedigung anstrebt. Wohingegen bei Vermeidungszielen die Grundbedürfnisverletzung bzw. eine Frustration verhindert werden soll. Wissenschaftlich wurde gezeigt, dass bestimmte Personen eine genetische Disposition zur Hemmung, Abwehr und Vermeidung haben. Neugeborene mit einer ausgeprägten Disposition neigen z.B. zu mehr psychischen Störungsanfälligkeit. Jedoch kann durch positive Interaktion mit der Umwelt diese Disposition abgepuffert werden (z.B. über stabile Bindungen zu Primärpersonen). 

Wenn ein Säugling auf die Welt kommt, ist eines der ersten motivationalen Ziele häufig die Motivation Kontakt zur Mutter oder zum Vater aufzubauen. Dies realisiert der Säugling über Schreien, Lachen, und Saugen. Daraus etablieren sich erste Annäherungsziele. Durch Wiederholung stärkt sich dieses Bedürfnis und differenziert sich mit der Zeit aus. Auch neuronal werden die dazu passenden neuronalen Verbindungen gestärkt. Beispielsweise werden bei Bindungsprozessen über Oxytocin und Dopamin neuronale Verbände verstärkt.

Hat das Kind jedoch eher den Eindruck, dass es seine Bedürfnisse nicht befriedigt bekommt, leiden wahrscheinlich mehrere Grundbedürfnisse wie z.B. eben die Bindung. Wenn das Kind älter ist und ein Selbstbild entwickelt hat, leidet vielleicht auch der Selbstwert. Bei wiederholenden Frustrationen folgen negative emotionale Zustände. Das Kind lernt an dieser Stelle Vermeidungsziele kennen. Diese sollen dabei helfen negative Emotionen abzuwenden. Gleichzeitig werden dabei Annäherungsschemata gehemmt.

Zusammengefasst ist es so, dass Grundbedürfnisse ständig aktiv sind. Aus der Lebensgeschichte eines Menschen werden individuelle Annäherungs- und Vermeidungsziele gebildet. Diese sollen bei der Grundbedürfnisbefriedigung helfen. Durch das realisierte Verhalten kommt es dann zu einer Bewertung der Zielerreichung bzw. Grundbedürfnisbefriedigung via Feedback.

Konsequenzen bei Nicht-Erfüllung der Grundbedürfnisse

Grundbedürfnisse können phasenweise nicht befriedigt werden. Das ist in der Regel weniger problematisch. Über kurze Momente können wir Menschen dies in den meisten Fällen kompensieren.

Kritischer wird es jedoch, wenn einzelne – oder gleich mehrere – Grundbedürfnisse chronisch frustriert werden. Dies führt in der Regel zu einer inneren Anspannung. Eine weitere Möglichkeit innere Anspannung zu erleben ist, wenn Grundbedürfnisse miteinander konkurrieren. In der Konsistenztheorie wird davon ausgegangen, dass der Mensch das Erlebte mit seinen Zielen der Grundbedürfnisbefriedigung abgleicht. Wenn die Ziele nicht erreicht werden, spricht man in diesem Falle von einer Inkongruenz

Eine weitere Möglichkeit für innere Anspannungen entsteht, wenn motivationale Schemata miteinander in Konflikt stehen. Gerade dann, wenn Annäherungs- und Vermeidungsziele miteinander in Konkurrenz stehen. Darüber hinaus sind natürlich auch weitere Kombinationen denkbar, wenn beispielsweise zwei Annäherungsziele miteinander konkurrieren und sich dadurch gegenseitig hemmen. Konflikte auf der motivationalen Ebene werden als Diskordanz bezeichnet.

In dieser Theorie wird von einer Inkonsistenz gesprochen, wenn eine Inkongruenz und/oder eine Diskordanz vorliegt. Man kann davon ausgehen, dass bei Erfüllung von Grundbedürfnissen es zu positiven Emotionen kommt. Während bei einer Nicht-Erfüllung es zur Frustration und negativen Emotionen kommt. 

Also nochmal: In der Regel können Menschen mit kurzfristigen Frustrationen gut umgehen. Sie eignen sich Strategien an, um damit umzugehen. Erst bei chronischer Frustration und chronischen Konflikten steigt die Wahrscheinlichkeit für eine psychische Störung.

Therapeutische Relevanz

Es ergeben sich aus der Theorie praktische Implikationen. Das bedeutet, dass Therapeut:innen in ihrer Arbeit dieses Modell nutzen können, um Patient:innen dabei zu helfen ihr psychisches Leiden zu überwinden. Grawe ging davon aus, dass Psychotherapie dann Veränderung in der Symptomatik von Patient:innen erzeugt, wenn sich auch ihr Gehirn (neuronal) verändert. Inzwischen gibt es eine Vielzahl an Studien, die die Wirkung verschiedene psychotherapeutische Interventionen über bildgebende Verfahren nachweislich belegend konnten. Beispielsweise, dass bestimmte Hirnareale in ihrer Aktivität zunehmen. Und dass die neuronalen Verbindungen – so wie die neuronale Dichte – signifikant zunehmen.

Zum einen können die Grundbedürfnisse psychoedukativ in den Sitzungen erklärt werden. So kann bei einer biografischen Anamnese berücksichtigt werden, wie beispielsweise die Bindungserfahrung von Patient:innen war und wie sie heute ist. Zum anderen können Therapeut:innen die Psychotherapie komplementär zu den Grundbedürfnissen von Patient:innen gestalten. Beispielsweise könnte Patient:innen mit einem Kontroll- und Orientierungsbedürfnis mehr Autonomie in der Mitgestaltung der Sitzung gewährt werden (z.B. Themen der Stunde, die nächsten Termine etc.). 

Grawe hat aus seiner praktischen und wissenschaftlichen Arbeit fünf Wirkfaktoren abgeleitet, die für eine erfolgreiche psychotherapeutische Behandlung von Bedeutung sind: Therapeutische Beziehung, RessourcenaktivierungProblemaktualisierung, Aktive Hilfe bei der Problembewältigung und Motivationale Klärung.

Vereinfachte Zusammenfassung

Die Konsistenztheorie nach Klaus Grawe ist eine gut erforschte Theorie, die Eingang in viele therapeutische Praxen geschafft hat. Sie geht davon aus, dass wir Menschen universell und biologisch angeborene Grundbedürfnisse haben. Diese helfen uns Menschen beim Überleben. Dabei handelt es sich um Bindung, Kontrolle/Orientierung, Selbstwerterhöhung- und erhalt, sowie Lustgewinn/Unlustvermeidung. Ein übergeordnetes Ziel ist die Konsistenz. Wir möchten uns ohne Widersprüche und Spannungen erleben. Menschen entwickeln über ihre Erfahrung bestimmte Schemata, die ihnen dabei helfen sich der Grundbedürfnisbefriedigung anzunähern oder eine Frustration zu vermeiden. Motivationale Schemata können miteinander konkurrieren, so wie auch die eigentlichen Grundbedürfnisse. Psychische Störungen entstehen häufig auf der Basis von einer chronischen Frustration der Grundbedürfnisse oder wenn Schemata bzw. Grundbedürfnisse miteinander im Konflikt stehen. Aus der Forschung der Konsistenztheorie lassen sich fünf Wirkfaktoren ableiten, die wichtig sind in einer psychotherapeutischen Behandlung: Therapeutische Beziehung, Ressourcenaktivierung, Problemaktualisierung, aktive Hilfe zur Problembewältigung und motivationale Klärung. Die Therapie wird auch auch als Neuropsychotherapie bezeichnet, da die Veränderungen in der Behandlung sich beispielsweise auch in der Neuroplastizität ausdrücken (z.B. über Neurofeedback sichtbar).

Wer sich weiter dazu belesen möchte, kann dies im Buch “Neuropsychotherapie” von Klaus Grawe nachlesen. Der Beitrag stützt sich auf den Inhalten dieses Buches. Ich habe eine Buchvorstellung zu diesem Werk auf meiner Seite zur Verfügung gestellt. Hier gelangst du zur Buchvorstellung.

Zusätzlich habe ich dir noch eine kurze Grafik zum Modell erstellt:

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