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Einigen Männern fällt es schwer sich um ihre mentale Gesundheit zu kümmern. Sie gehen im wahrsten Sinne des Wortes “anders” mit ihrem Problemen um. Hierbei vermuten die Wissenschaft und die psychotherapeutische Praxis Faktoren, die den Umgang mit Problemen bedingen. Der Beitrag versucht auf eine wertneutrale Art die Mechanismen zu beleuchten, die dafür Sorgen dass es einigen Männer schwer fällt sich um ihre (mentale) Gesundheit zu kümmern.

“It’s a Man’s Man’s Man’s World” sang einst James Brown. Doch was ist männlich? Das Konzept der Männlichkeit unterscheidet sich je nach Kontext. Faktoren wie z.B. Kultur, Ethnie oder Religion nehmen Einfluss auf das was wir im Alltag als “männlich” bezeichnen. Es gibt also nicht “den Mann”. Vielmehr muss angenommen werden, dass “der Mann” sich in einem ständigen Wandel befindet. Für den Beitrag wird der Begriff des “traditionellen Mannes” verwendet. Er soll die häufigsten Merkmale abbilden, die in der Gesellschaft seit sehr vielen Jahren mit Männlichkeit assoziiert werden.

Abseits von Definitionen wird deutlich, dass Männer sich weniger (professionelle) Hilfe einholen. Und das, obwohl eine Vielzahl von Studien zeigt dass Psychotherapie auch bei Männern nachgewiesen gute Effekte erzielt. Frauen nehmen vergleichsweise ca. doppelt so häufiger psychotherapeutische Hilfen in Anspruch. Männer haben über ihre Lebensspanne ebenfalls Leidensdruck, doch die impliziten Annahmen und Aufträge des traditionellen Männerbildes erschweren ihnen externe Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Stille Leidkultur - Männer leiden anders

Männer leiden oft nicht so, wie es gesellschaftlich erwartet wird. Wenn Menschen erkranken oder an psychischen Störungen leiden, denken wir schnell an Funktionseinbußen in mehreren Lebensbereichen (z.B. bei der Arbeit oder in Beziehungen). Die häufigste psychische Störung ist die Depression. Typische Leitsymptome sind dabei eine herabgesetzte Stimmung, ein verminderter Antrieb und Interesseverlust. So ist es auch im ICD-10 (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandten Gesundheitsprobleme) niedergeschrieben. Wenn es darum geht eine Diagnose zu stellen, wird sich im deutschen Gesundheitssystem an den festgehaltenen Kriterien im ICD-10 orientiert. Doch schaut man geschichtlich auf die Erhebung dieser Symptome, wird deutlich dass die “Population” vor allem weiblich war. Was bedeutet, dass sich depressive Züge bei Männern in einer anderen Form äußern. Beispielsweise kann sich bei Männern eher eine dauerhafte gereizte Stimmung manifestieren und die Niedergeschlagenheit ablösen. Durch den erlebten und ausgedrückten Ärger kann das Leid der Männer schnell fehlinterpretiert werden. 

Männer neigen ebenfalls dazu hohe Leistungen auf der Arbeit zu erbringen. Damit (über-)fordern sie sich förmlich. Meist ist dies auch ein Ventil, um den eigenen Selbstwert und schwierige Gefühle zu regulieren. Neben der Depression, ist die Alkoholabhängigkeit eine der häufigsten psychischen Störungen bei Männern. Das Leid findet zum Teil weiterhin im Stillen statt, da Alkohol ein gesellschaftlich akzeptiertes “Genussmittel” ist. Dabei ist zu vermuten, dass in vielen Teilen und Schichten Deutschlands eine gestörte Trinkkultur vorliegt. Und wenn das noch nicht genug ist: Rund 75 % der “erfolgreichen” Suizide werden von Männern vollendet. Vielen Männern fehlt es an funktionalen Copingstrategien. Oftmals ist der Suizid dann eine Art “Exit-Strategie”. Statistisch gesehen sind Männer auch in puncto Delinquenz überrepräsentiert. 

Zusammenfasst lässt sich festhalten, dass auch Männer leiden. Dabei hat ihr Leid viele Gesichter und kann im ersten Moment sogar verkannt werden. Die Auswirkungen können dabei gravierend sein. Das männliche Leid kann langfristige Auswirkungen auf Gesundheit, Arbeit, Beziehungen und Familie haben.

Von Puppen und Autos - Wie Männer ihre Rolle bekommen

Die Art und Weise wie Männer mit ihrer mentalen Gesundheit umgehen, kommt nicht von ungefähr. Gerade in der Kindheit und Jugend werden wichtige Erfahrung für das zukünftige Leben gesammelt. Jungen kommen in ihrer Sozialisation relativ früh mit einer gesellschaftlichen Prägung in Kontakt. Dies geschieht sowohl bewusst, wie auch unbeabsichtigt. Das Ergebnis ist jedoch gleich: Jungen verinnerlichen auf subtile Art und Weise was sie Erfahren. Dabei kann diese Überlieferung auf verschiedenen Ebenen geschehen (z.B. über das kindliche Spiel). Oftmals werden dadurch die Grundsteine für ein traditionell-männliches Rollenverständnis gelegt. Heute, wie auch damals, hallen folgende Erwartungen durch deutsche Kinderzimmer: Mädchen spielen mit Puppen und Jungs jagen Autos über den Spieleteppich. Wenn sich ein Junge mit einer Puppe beschäftigt, heißt es nicht selten: “Lass die doch mal liegen, das ist nichts für Jungs. Lass uns Ball spielen gehen”. 

Oft lässt sich auch beobachten, dass Mädchen ermutigt werden sich lieber mit Worten auszudrücken. Auf der anderen Seite wird Jungen nachgesagt, dass sie nur den richtigen körperlichen “Ausgleich benötigen”. Was viele Eltern bzw. Erwachsene zu diesem Zeitpunkt nicht erkennen, ist, dass sie damit auf lange Sicht den Jungen Probleme verschaffen. Meist aus der eigenen Unsicherheit heraus selber nicht aus der Norm zu fallen bzw. von anderen negativ bewertet zu werden. Es sei gesagt, dass Kinder über das Spiel das erwachsen Leben erlernen. Demnach ist es nach der bisherigen Ausführung nicht überraschend, dass Frauen sich öfter Hilfe suchen als Männer. Denn Männer haben immer wieder als Jungen gehört, dass sie sich nur körperlich ausgleichen müssen. Was im Erwachsenenalter so viel bedeutet wie “mach einfach was”. Frauen werden weiterhin fälschlicherweise als “das schwache Geschlecht” bezeichnet. Dementsprechend kommt es auch im zweiten Schritt zu einem Gedankenfehler. Wenn Frauen schwach sind und sie mehr reden, dann muss das Sprechen etwas für Schwächlinge sein. Männer lernen also: “Reden ist etwas für Weicheier”. Diese verzerrte gesellschaftliche Annahme könnte für die Entwicklung von heranwachsenden Jungen nicht verheerender sein. 

Durch die fehlende Ermutigung und Förderung das innere Erleben in Worte zu fassen, verpassen Jungen die Lernsituation ihre Gefühle verbal zu regulieren. Männer sind mitunter später nicht gut darin wahrzunehmen, welche Gefühle gerade in ihnen vorgehen.  Als sekundäre Folge weisen Männer Defizite in ihren sozialen Kompetenzen auf. Es kann ihnen somit schwerer fallen Hilfe aktiv einzufordern. Die Gefühlsregulation und soziale Kompetenzen sind zwei Kernfähigkeiten, die wir benötigen um mit anspruchsvollen und problematischen Lebensaufgaben umzugehen.

"Like father, like son" - Wie Väter ihre Söhne prägen

In der Regel sind die Eltern die ersten Bezugspersonen im Leben von Kindern. Die Forschung und Praxis geht davon aus, dass die ersten Lebensjahre die prägsamsten sind. Somit ist auch der Einfluss von Eltern auf ihre Kinder der einflussreichste. Zu Beginn des Lebens sind die Eltern für ihre Kinder die ganze Welt. Das Kind identifiziert sich stark mit seinen Eltern. Der Einfluss der Mutter auf das Kind ist wissenschaftlich gut gesichert. Mit den Jahren wird jedoch zunehmend deutlich, dass auch väterliches Verhalten erheblichen Einfluss auf die Entwicklung von Kinder hat. 

Väter bringen ihre eigene Biografie in die Erziehung mit ein. Die meisten der täglichen Handlungen passieren unbewusst. Gerade wenn Väter selber schwierige Vergangenheiten (durch z.B. ihre eigenen Väter) hatten, kann sich dies auch in die Erziehung einschleichen. Kinder bzw. Jungen spüren sehr gut wie ihre Väter auf sie reagieren. Sie sehen zusätzlich auch wie ihre Väter mit eigenen Gefühlen und Problemen umgehen. Jungen lernen also mit und am (männlichen) Modell. Auch das Nichtvorhandensein eines Vaters kann Einfluss auf die Entwicklung eines Jungen nehmen (z.B. fehlende Orientierung). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass über die Vater-Kind-Beziehung traditionelle Aufträge transgenerational übernommen werden. Die Weitergabe kann sich beispielsweise darin äußern, dass Väter nicht wissen wie sie ihre Söhne emotional trösten können. Jahre später können dann die großgewordenen Söhne selber eine Überforderung mit ihren eigenen Gefühlen aufweisen. Dies werden sie mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch an ihre Kinder (ungewollt) weitergeben.

Heldengeschichten - Männer unter Druck

Bis ins letzte Jahrhundert galt die Männlichkeit als “mitgegeben”. Heute wissen wir, dass Männlichkeit facettenreich ist. Die Realität ist somit deutlich komplexer. Es existieren unausgesprochene Aufträge, die Männern vorgeben wie sie zu sein haben. Neben der Erziehung spielen auch veraltete gesellschaftliche Erwartungen eine Rolle. Männer müssen demnach dominant und stark sein. Wenn sie es nicht sind, laufen sie Gefahr in der Hierarchie weiter unten zu landen. Sie sollen mehr handeln, weniger sprechen. Wenn sie einen Raum betreten, sollen sie Lösungen für Probleme mitbringen. Sie sollen ihren Körper trainieren und Schmerzen ertragen können. Aufrechterhalten werden diese Heldengeschichten z.B. auch durch die Pop, – Film– und Musikindustrie. Man(n) denke an den Cowboy aus der Marlborowerbung oder an die vielen Superheldenrollen im Kino.

Die Aufträge sind für (junge) Männer meist verbunden mit starkem Druck. Und da sie als Jungen nicht gelernt haben zu verbalisieren, handeln sie heute als Männer. Meistens stark schambesetzt. Der erlebte Druck bezieht sich dabei auf verschiedene Lebensbereiche. Männer sollen demnach gut trainiert sein. Sie machen voller Elan Sport. Sie sollen immer wissen was sie wollen. Und wenn es um Sex geht, sollen sie immer können. Solche Annahmen und Forderungen werden stillschweigend übernommen. Sie lassen gleichzeitig auch wenig Raum für Selbstfürsorge. Und auch im Erwachsenenalter lernen Männer nicht in sich zu horchen. Sie ignorieren ihre Grenzen und machen einfach weiter. Sie leben für sich und andere ein heldenhaftes “Als-Ob-Leben”. Damit halten sie selber die Annahmen von einer traditionellen Männlichkeit aufrecht.

Herz des Zinnmanns - Gefühle und Bedürfnisse

Psychische Gesundheit hängt eng mit der Befriedigung der eigenen psychologischen Grundbedürfnisse zusammen. Nach Klaus Grawe haben Menschen Bedürfnisse nach Bindung, Autonomie/Kontrolle, Selbstwerterhöhung bzw. Erhalt, Lustgewinn/Unlustvermeidung. Je nach Person kann das eine oder andere Bedürfnis stärker im Vordergrund stehen. Gleichzeitig wollen aber auch alle anderen Bedürfnisse Beachtung finden. Durch ihre Lerngeschichte haben Männer oftmals Schwierigkeiten zu erkennen was sie gerade brauchen. Und wenn sie es wissen, kommen sie nicht ins (funktionale) Handeln. Es sei gesagt, dass auch Männer sich gerne in Ordnung finden wollen. Sie wünschen sich ebenfalls tiefe Beziehungen zu anderen. Traditionelle Männlichkeit lässt Männer oft kühl und weniger bedürftig erscheinen, obwohl das Gegenteil der Fall ist. Hinter der “harten Rüstung” verbergen sich nicht selten Gefühle der Trauer, Scham oder Unzulänglichkeit. Oftmals greifen sie bei Stress auf altbekannte Muster zurück, da diese Sicherheit und Orientierung bieten.

Durch das Fehlen von Alternativen werden die alten Muster weiter bestärkt. Die alten Muster sind jedoch oft dadurch charakterisiert, dass die eigenen Gefühle vermieden werden. Generell wird dadurch eine problematische Beziehung zu der eigenen Gefühlswelt geschaffen. Gleichzeitig geben Bedürfnisse und Gefühle einem Menschen einen Hinweis was er/sie braucht. Weiter gedacht bedeutet dies, dass Männer sich durch diese Vermeidung selber verleugnen bzw. von sich selbst entfremden

Alles nur toxisch?

Inzwischen hat es sich eingebürgert Verhaltensweisen, die nicht mehr der Norm oder dem Zeitgeist entsprechen, als toxisch zu bezeichnen. Oftmals werden die dysfunktionalen Facetten der traditionellen Männlichkeit generalisiert und auf das allgemeine Konzept der Männlichkeit übertragen. Es wäre demnach nicht in Ordnung jeden Mann als unterkühlt und absolut toxisch zu bezeichnen. Hinter der Tradition steckt meist ein verunsichertes Selbstbild. Durch den gesellschaftlichen Wandel befindet sich das Konzept der Männlichkeit ebenfalls in einem Veränderungsprozess. Derzeit fehlen haltbare Alternativen. Und vielleicht gibt es bereits auch Anteile und  Verhaltensweisen, die nicht dysfunktional und falsch sind. Es ist nämlich wenig hilfreich, wenn das Umfeld den Männern immer wieder rückmeldet was sie noch nicht können und falsch machen.

Männer können erst dann beginnen aus ihrem Schweigen zu treten, wenn sie anfangen zu verstehen dass Unsicherheiten und Gefühle keine Schwächen sind. Im Gegenteil, es zeugt von innerer Stärke sich auch emotional um sich zu kümmernEs geht darum traditionelle Aufträge zu erkennen, infrage zu stellen und ggf. anzupassen. Das kostet Mut. Auf diese Weise wird es beispielsweise möglich transgenerationale Zyklen zu brechen. Davon profitieren auch die Nachfahren. Dadurch wird Verantwortung für sich und für andere übernommen. Dies geht jedoch nur, wenn Männer sich in einem stetigen Dialog mit sich und ihrer Umwelt befinden. Sie müssen lernen (authentisch!) zu kommunizieren, um sich selbst als Mann okay erleben zu können. Dies kann aber nur dann gelingen, wenn auch das Umfeld und die Gesellschaft bereit sind den Prozess zu begleiten.

Männer auf der Couch

Nicht jedes Problem muss zwangsläufig behandelt werden. Probleme gehören zum Leben dazu. Sie werden dann behandlungsrelevant, wenn sie uns überfordern und akuten bzw. chronischen Leidensdruck erzeugen. Auch wenn Psychotherapie bei Männern wirkt, gehen vergleichsweise wenige von ihnen in eine Behandlung. Sie versuchen alleine mit ihrem Leidensdruck klar zu kommen. Ein wesentlicher Faktor ist, dass das therapeutische Angebot wenig auf Männer zugeschnitten ist

Einige Männer fühlen sich in ihrem Leid nicht verstanden oder sie wünschen sich von Beginn an einen männlichen Therapeuten. Dazu sollte man wissen, dass Psychotherapie von rund 80 % Frauen durchgeführt wird. Dies prägt natürlich die therapeutische Behandlungskultur und Herangehensweise. Ganz allgemein ausgedrückt, mangelt es der Psychotherapie an Diversität. Nicht nur was das Geschlechterthema angeht, sondern auch Themen wie z.B. Ethnie und Schichtzugehörigkeit. Männer können sich oftmals nicht mit den Angeboten identifizieren (wie auch weitere Gesellschaftsgruppen). Beispielsweise neigen Männer dazu schneller nach Lösungen zu suchen, während die Psychotherapie Zeit zum Verstehen benötigt. Ergänzende Fortbildungen zum Umgang mit der männlichen Erlebniswelt wären potentielle Möglichkeiten sich für das Thema zu sensibilisieren bzw. das eigene psychotherapeutische Angebot anzupassen. 

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